Die multimediale Zeitreise

multimediale Zeitreise

1990 - 2003

Beitrag Nr. 09


BEITRAG VON DANIEL KURZ, HISTORIKER UND PUBLIZIST

Die Nachfrage geht nie aus

In der Hochschul-Stadt Zürich sind Student:innen ganz besonders auf bezahlbaren Wohnraum angewiesen. Schon seit 1956 bietet die WOKO möblierte Zimmer an. Konkurrentin des JUWO war sie aber nie. Ein kleiner Vergleich.

Kontemporäre Impressionen aus dem WG-Leben der WOKO.

WOKO_WG-Leben_2
WOKO_WG-Leben_1

Bilder: Alessandro Della Bella für die WOKO

Das JUWO ist ein Kind der der frühen 1980er-Jahre, der Wohnungsnotdemos und Hausbesetzungen. «Wo-Wo-Wonige!» forderte die Jugendbewegung, denn preiswerter Wohnraum wurde massenhaft abgerissen. Fast wie heute. Die Stadtregierung reagierte damals mit harter Repression. Besonnene und respektable Persönlichkeiten um den Anwalt Sigi Feigl schufen dagegen eine freundliche Alternative: Sie bürgten für die Jungen, denen die Vermieter nicht recht trauten, und verschaffen ihnen so Zugang zu erschwinglichen Wohnungen.

Das war gewissermassen ein Patronat, von den Alten für die Jugend, top down, von oben herab. Dafür herrschte von Anfang an viel Selbstbestimmung und Selbstverwaltung vor Ort, in den Häusern selbst. Das Symbol dafür ist der WG-Mietvertrag, er steht für die hohe Autonomie der Wohngemeinschaft. Profitieren sollten alle Jungen, Studierende, Lernende, Berufstätige, die nur wenig verdienen.

Wohnheim

Junge Frau im WOKO Studenten Wohnheim, Wollishofen, April 1983.

Bild: Schweizerisches Sozialarchiv, F 5107-Na-04-154-007 | Foto: Gertrud Vogler


Zimmer für Student:innen von weither

Die WOKO war dagegen seit ihrer Gründung im Wintersemester 1956/57 schon eine Sache der Studierenden und ist es bis heute: Ihre Besitzer und Genossenschafter sind die Studierenden. Sie wählen den Vorstand und wirken darin mit. Trotzdem, ich muss es neidlos zugeben, war das JUWO immer einen Tick cooler als die WOKO. Das liegt an der zimmerweisen Vermietung bei der WOKO – und an der Möblierung. Möblierte Zimmer sprechen andere Studis an als selbstorganisierte WGs: Studis von weiter weg, die oft in der Heimatregion verhaftet bleiben. Trotzdem gab und gibt es seit jeher besondere WOKO-Häuser mit hohem innerem Zusammenhalt und starken Gemeinschaftsstrukturen, die sich über viele Bewohnergenerationen vererben: Kirchgasse 36, Kantstrasse 20 und viele andere.

Die Bewohner:innen im JUWO fühlen sich in der Mehrheit vermutlich in Zürich zuhause, nicht in Graubünden oder China. Die Liste der JUWO-Immobilienpartner ist lang wie das Telefonbuch, es dominieren die gemeinnützigen Genossenschaften. Denn eine wichtige Dienstleistung des JUWO ist die Zwischennutzung von dem Abbruch geweihten Häusern, die allen Beteiligten zugutekommt. Die WOKO dagegen spielt gern auch auf internationalem Parkett: Eine Mehrheit ihrer Mieter:innen stammt aus dem Ausland; rund ein Fünftel sind Austausch- und Gaststudierende, also Gäste der Hochschulen, die nicht lange in Zürich bleiben. Die WOKO ist daher für die Hochschulen heute ein eminent wichtiger Partner und Dienstleister – genauso wie das JUWO für die Genossenschaften.

Fremdarbeiterbaracke in Wiedikon Ende der 1940er-Jahre.

WG-Leben in der WOKO, Zweierstrasse, 1990er-Jahre.

Bild: WOKO


Freundschaftliche Zusammenarbeit

Wenn nicht punkto Coolness, so kann die WOKO doch punkto Wachstum und Grösse locker mithalten mit dem JUWO. Die WOKO hat sich in den letzten 15 Jahren vervielfacht und zählt inzwischen über 4000 Zimmer und Bewohner:innen. Und die meisten auf sicher: Die Basis bilden fast ausschliesslich langfristige Mietverhältnisse oder Verwaltungsverträge; ein erheblicher Teil ist im Besitz der 1987 auf Initiative der WOKO gegründeten Stiftung für Studentisches Wohnen.

Die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum geht nie aus, schon gar nicht in Zeiten grassierender Wohnungsnot. WOKO und JUWO sehen sich daher nicht als Konkurrenten, sondern arbeiten in aller Freundschaft für das gleiche Ziel.

Nadine Zberg

Daniel Kurz ist Historiker und Publizist. Er schreibt Artikel und Bücher über Wohnungsbau.

Er war als Student 1983–1985 operatives Vorstandsmitglied der WOKO und später, von 2009 bis 2019, ihr Präsident.

Chefredaktor der Zeitschrift werk, bauen+wohnen 2012–2021.