1990 - 2003
Beitrag Nr. 11
BEITRAG VON DR. ANNINA SANDMEIER-WALT
Fusionen sind riskant. Wird die neue Organisation ein Erfolg? Scheitert sie? Ein Blick auf die ersten Jahre des JUWO ab 2003 zeigt, wie der neue Verein sich etablierte, wo Herausforderungen lauerten und wo er durchstartete.
Als 2003 die Vereine Zürcher Jugendwohnungen (VZJW) und Jugendwohnhilfe zum Jugendwohnnetz fusionierten, waren die Erwartungen, aber auch die Unsicherheiten gross. Würden sich die Synergien wie geplant realisieren lassen? Wie würden die Partner:innen in der Vermietung die Veränderungen aufnehmen? Doch Zweifel schienen unbegründet. Die Jahresberichte von JUWO aus dieser Zeit vermitteln Aufbruchsstimmung. Zwar war die Fusion so aufwändig, dass die notwendigen Umstellungen bis 2004 Zeit brauchten. Die Buchführungen und Immobilienbestände mussten zusammengeführt werden, neue Mitarbeiter:innen eingearbeitet und der Leistungsauftrag mit der Stadt Zürich für die Sozialberatungen neu verhandelt werden. Die betreuten Liegenschaften blieben aber in der Anzahl erst einmal stabil und stiegen dann in den Folgejahren stetig, ebenso die der Mieter:innen.
Anzahl Wohnungen
2003: 412
2007: 546
2010: 593
2013: 781
Anzahl Mieter:innen:
2003: 971
2007: 1185
2010: 1397
2013: 1827
Mietkosten pro Mieter:in
2003: 472
2007: 474
2010: 450
2013: 391
Vollzeitstellen
2003: 3
2007: 4.6
2010: 4.4
2013: 5.8
Bereits bei der Jugendwohnhilfe war es nicht mehr die Bindung zur Trägerschaft gewesen, die ein Vorstandsmitglied für seine ehrenamtliche Tätigkeit mitbringen sollte. Es brauchte Fachwissen und entsprechende Vernetzung. Personen aus den Vorständen beider ehemaliger Vereine bildeten ab 2003 den neuen JUWO-Vorstand. So übernahm der Präsident der Jugendwohnhilfe, Jean-Marc Hensch, im JUWO dieselbe Funktion. Die Architektin Julika Kotai wechselte vom VZJW in den Vorstand des JUWO und war für bauliche Themen zuständig. «Der neu zusammengesetzte Vorstand des JUWO musste sich als Gruppe und in den Arbeitsthemen erst finden», erinnert sie sich. An einer Klausurtagung von Vorstand und Stiftungsrat im Jahr 2004 wurden strategisch wichtige Themen besprochen und nächste Schritte festgelegt. Gerade in der Administration und der Immobilienbewirtschaftung fand ein Überdenken bisheriger Strukturen statt.
Seit 2006 befindet sich die Geschäftsstelle des JUWO an der Gartenhofstrasse 15.
Bild: Gian Vaitl
Die Arbeiten von Geschäftsstelle und bislang externer Immobilienverwaltung liessen sich immer weniger gut trennen und es kam zu Doppelspurigkeiten. Denn die JUWO-Mieter:innen waren anders: Nur etwa zwei Jahre verbrachten sie in ihrer Wohnung – anders die durchschnittlichen Zürcher:innen, die rund acht Jahre dieselbe Wohnung mieten. Es brauchte also mehr als eine klassische Immobilienverwaltung. Zudem hatte das JUWO inzwischen eine Grösse erreicht, die den Aufbau eigener Strukturen nahelegte. So entschied sich der Vorstand, ein Experiment zu wagen: Mit dem Projekt Source wagte er 2006 ein Insourcing der Immobilienverwaltung und Buchhaltung. Abgesehen von einem Wechsel des Systems, zog dieser Schritt enorme Anpassungen nach sich. Der Stellenplan musste um zwei Stellen erweitert werden. Die Geschäftsstelle brauchte grössere Büroräumlichkeiten und der Umzug an die heutige Adresse in der Gartenhofstrasse 15 war unumgänglich. Zudem hatten die veränderten Abläufe eine wesentliche Erweiterung der Informatik zur Folge. Immer mehr Prozesse wurden über elektronische Plattformen abgewickelt.
Trotz unterstützender Digitalisierung blieb das Tagesgeschäft mit über 1000 JUWO-Mieter:innen und einer hohen Fluktuation in der Mieterschaft eine Herausforderung. Dies insbesondere auch deshalb, weil die mietrechtlichen Pflichten nicht immer eingehalten wurden, Vermietungen aber unter strengen Formalitäten und termingerecht ablaufen. Gemäss JUWO-Jahresbericht von 2007 kam es vor, «dass Mieter ohne Adressangabe verschwinden, ein Chaos hinterlassen oder die Schlüssel als Souvenir mitnehmen».
Herausfordernd war auch die Situation beim Erwerb eigener Wohnungen: JUWO hätte in den 2000er-Jahren gerne mehr eigene Liegenschaften erworben, konnte aber mit den gebotenen Preisen oft nicht mithalten. «Die Situation auf dem Immobilienmarkt war prekär», sagt Julika Kotai rückblickend. Sie begleitete die Abklärungen für Erwerbe und Sanierungen der eigenen Liegenschaften als Vorstandsmitglied. «Wir konnten aber im Rahmen von Sanierungen eigene Liegenschaften verdichten und aufstocken.» JUWO gewann beispielsweise für die Sanierung von Wohnungen an der Müllerstrasse gar die städtische Auszeichnung «Nachhaltig Sanieren 2012». Andere vielversprechende Projekte zerschlugen sich, weil die Risiken für den Verein zu gross waren, so etwa bei Wohnungen im Toni-Areal.
Mitarbeiter:innen, Mitglieder von Vorstand und Stiftungsrat unternahmen mehrere Reisen, um andere Beispiele von Jugendwohnungen in Europa zu besichtigen. 2008 ging es nach München, 2012 nach Amsterdam und 2015 nach Wien.
2008 München
2012 Amsterdam
2015 Wien
Die Fusion, die daraus gefällten strategischen Entscheide und die fortschreitenden Möglichkeiten der Digitalisierung hatten vor allem eines zur Folge: Es fand eine Professionalisierung auf allen Ebenen statt. Nicht nur in der Immobilienverwaltung und in der Informatik fanden Veränderungen statt. Auch in der Sozialberatung stiegen die Anforderungen des städtischen Sozialdepartements. Es wurde anspruchsvoller, den Leistungsauftrag zu erfüllen. Es gab eine erhebliche betriebliche Effizienzsteigerung, die Anpassung der Stellenprozente erfolgte trotz rasantem Aufwärtstrend bei Mieter:innen und Wohnungen aber nur verhalten. Unvorhergesehene Ausfälle und Mutationen von mehreren Mitarbeiter:innen, wie sie 2008 erfolgten, waren kaum zeitnah kompensierbar. Generell lag der Fokus der Geschäftsleitung auf der Aufrechterhaltung des Betriebs, weniger auf der betrieblichen Weiterentwicklung.
Dies änderte sich in den 2010er-Jahren. Christoph Ackeret, der die Jugendwohnhilfe und das JUWO über 30 Jahre als Stiftungsrat begleitete, erinnert sich an neue Formate wie die «Studienreisen» für Mitarbeiter:innen, Vorstand und Stiftungsrat: «Wir mussten konkurrenzfähig bleiben und inspirierten uns in Europa bei Fachleuten, so in München, Amsterdam und Wien.» Die Containersiedlung FOGO beim Bahnhof Altstetten beispielsweise ist das Ergebnis eines solchen Inputs aus Amsterdam.
Die Containersiedlung FOGO in Altstetten. Sie kombiniert nach eigenen Angaben «Wohnraum für Geflüchtete und junge Erwachsene in Ausbildung mit innovativer Gastronomie, Kleingewerbe, Kultur- und Bildungsangebote». FOGO ist ein Gemeinschaftsprojekt der Stiftung Einfach Wohnen SEW, der Fachorganisation AOZ und des JUWO. Eine Inspiration war die 2012 erfolgte Besichtigung einer Containersiedlung in Amsterdam durch JUWO.
2012 Containersiedlung in Amsterdam
2019 FOGO - Leben am Vulkanplatz
Bild: Tanja Krebs
Jean-Marc Hensch blickte als Präsident des JUWO fünf Geschäftsjahre nach der Fusion zurück und zog für den Jahresbericht ein begeistertes Fazit: «Das Jugendwohnnetz arbeitet heute sehr viel professioneller, als es seine Vorgängerorganisationen je konnten. Bereits beim Zusammenschluss von 2003 wurde aus beiden Kulturen das Beste ausgewählt und zusammengeführt.» Doch mit etwas zeitlicher Distanz beurteilt Hensch heute die Entwicklung auch mit kritischem Auge: «Vorstand und Geschäftsleitung agierten nach dem ‚Hosenlupf’ von Fusion und Insourcing eher risikoscheu und wollten vor allem alles vermeiden, was das Erreichte in Gefahr bringen konnte. Darunter litt während ein paar Jahren sicher die Innovationskraft.» Auf eine geglückte Fusion und gelungenen betrieblichen Anpassungen folgte im JUWO also eine Phase stagnierender Innovation, bevor es auf diesem Gebiet in den 2010er-Jahren erst richtig durchstartete.