2003 - heute
Beitrag Nr. 16
BEITRAG VON DR. RUTH WIEDERKEHR
Für die historische Arbeit braucht es ein gutes Archiv. Daran hat das JUWO in den letzten anderthalb Jahren gearbeitet. Für das Jubiläum wird nun die Geschichte aufgearbeitet und geschrieben. In welche Richtung weist sie? Ein Gespräch mit Historiker Roman Wild.
«Erinnerungsbildung ist absolut zentral für die Aufarbeitung von Geschichte», sagt Roman Wild. Der Historiker begleitet das JUWO für die Vorbereitung des Jubiläumsjahrs 2023. Das JUWO sei aus für die Stadtgeschichtsschreibung, aber auch aus der Warte der Geschichte der Jugend und des Zusammenlebens interessant. Der Blick aufs Detail ermögliche immer auch Schlüsse auf das grosse Ganze – Weltgeschichte zeigt sich in der Mikrogeschichte. Damit aber Geschichte aufgeschrieben werden kann, braucht es ein gutes Archiv.
Und dieses Archiv gibt es. Im Keller an der Gartenhofstrasse 15 dokumentieren farbige Ordner die Finanzen der Organisation bis in die Gegenwart. Und auf einem der Gestelle sind verschiedene Ordner mit «historisch, nicht wegwerfen!» beschriftet. Das Bewusstsein für die eigene Geschichte, so zeigt die Beschriftung, ist vorhanden. «Der erste Schritt meiner Arbeit für das JUWO Herbst 2021 war die Sichtung dieser Unterlagen», erzählt Wild. Er blätterte die Ordner durch, digitalisierte die zentralen Unterlagen.
Der Wermutstropfen: «Das Quellenmaterial ist alles andere als attraktiv», sagt er. Bildmaterial ist bis auf zwei Schachteln mit teilweise nicht datierten Bildern wenig vorhanden. Es gebe viele Lücken. Diese galt es zu füllen. Deshalb führte Jean-Marc Hensch, JUWO-Präsident und seit 1983 im JUWO engagiert (siehe JUWO-Histroy Blog Beitrag Nr.2), Gespräche mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen und zeichnete diese auf Video auf. Oral History wird diese Methode genannt. Und Wild meint zu den JUWO-Videos: «Es sind enorm wertvolle Dokumente, weil sie Nuancen zeigen, Leerstellen füllen.»
Mit den digitalisierten Fotos und Inhalten aus den Ordnern sowie den Filmen hat JUWO seit Ende 2022 ein Online-Archiv intern zugänglich.
Eigentlich sind 40 Jahre für einen Historiker eine ganz kurze Zeit. Für Geschichtsschreibung ist Distanz zum Geschehen absolut zentral. Erst mit Distanz zeigen sich die grossen Bögen. Wild kennt sich mit Unternehmensgeschichte aus – er hat sich selbst für seine Dissertation mit der Schuhfirma Bally auseinandergesetzt. Und er weiss: «Jede Firma braucht ihr Narrativ.» Ohne Erzählung über die Herkunft einer Organisation gibt es keine Zukunft. «In der Regel sind das Erfolgsgeschichten, Aufstiegsgeschichten», sagt Wild. Auch das JUWO lasse sich so erzählen: Die Vorgängervereine wurden Anfang der 1980er-Jahre gegründet, um das Problem der Wohnungsnot zumindest abzumildern. Diesem Zweck kommt auch das JUWO in der Gegenwart nach. Über 1600 Wohnungen vermietet es heute, so viele wie noch nie. Am JUWO lasse sich auch zeigen, wie eine private Organisation sehr gut mit Behörden zusammenarbeitet und dass sich mit Engagement in Verwaltungen eben auch viel erreichen lasse. So lässt sich die Entwicklung der Organisation als Erfolgsgeschichte darstellen.
Gäbe es aber nicht noch eine andere Erzählung? «Klar», meint Wild. In Zürich zeigten sich gesellschaftliche Entwicklungen immer besonders akzentuiert, sagt er. Eigentlich sei das JUWO auch Resultat davon, dass das in den Jugendunruhen Anfang 1980er-Jahre beklagte Problem der Wohnungsnot nicht gelöst sei. Im Gegenteil: Die Wohnungsnot ist auch heute noch akut. «Für die Jugend ist die seit jeher lange Warteliste beim JUWO kein gutes Zeichen.» Mit Blick auf die Sozialgeschichte der Stadt Zürich also kann das 40-jährige Bestehen des JUWO auch als Misserfolg gedeutet werden.