Die multimediale Zeitreise

multimediale Zeitreise

1980 — 1990

Beitrag Nr. 02


BEITRAG VON DR. RUTH WIEDERKEHR

«Eigentlich hatte ich kaum eine Ahnung»

In der ersten Stunde war er einer der jungen Schaffer, die den Verein Jugendwohnhilfe zum Fliegen brachten. Jean-Marc Hensch, Präsident des heutigen JUWO. Wie erlebte er die Anfänge der Organisation ab 1983? – Ein Spaziergang zu drei JUWO-Liegenschaften mit Blick zurück in die Geschichte.

Treffpunkt Sihlamtstrase 15, viertes OG in der 6er-WG. Die Gastgeber bereiten sich gerade auf Prüfungen vor. Es sind angehende Ärztinnen und Ärzte im letzten Jahr. «Kaffee? Lang oder kurz?» Jean-Marc Hensch nimmt ihn lang – mit Milch und Zucker – und beginnt zu erzählen. Das JUWO-Haus an der Sihlamtstrasse ist seit 1988 im Besitz der Stiftung und wurde jüngst umgebaut. Die ursprünglich zwei Häuser an den Nummern 15 und 17 wurden dabei inwendig ausgehöhlt und zusammengelegt. Aus einer Zwei- und einer Dreizimmerwohnung entstand so im obersten Stock eine 7-Zimmer-Wohnung. Jean-Marc Hensch ist stolz darauf: «Wir sind froh, ist es so gut rausgekommen», sagt er.


Erstes Haus in Wipkingen

Seit dem Jahr 2000 ist er Präsident des Jugendwohnnetzes JUWO und somit auf der strategischen Ebene für die rund 3500 Wohnplätze in und um die Stadt Zürich verantwortlich. Sein Amt übernahm Hensch damals vom Gründungspräsidenten Sigi Feigel, Rechtsanwalt und in den 1970er- und 1980er-Jahren Präsident der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich -> JUWO History-Blog Beitrag Nr. 1.

Er kannte ihn bereits seit der Gründung im Jahr 1983. Dieser hatte eine ganze Reihe von jungen Leuten rekrutiert, unter anderem den Jus-Studenten Jean-Marc Hensch. Mit ihnen baute er die Jugendwohnhilfe, wie JUWO damals hiess, auf. Feigel sei ein beeindruckender Mensch gewesen, sagt Hensch. «Er hatte die Menschen gern.» Aus diesem Grund wohl habe er etwas tun wollen für die Jugend, die berechtigterweise den Mangel an Wohnraum beklagte.

Zu Beginn war Hensch kurzzeitig für die Mietverträge und die Wohnungen zuständig, bis eine professionelle Geschäftsführung ernannt wurde. Als Vizepräsident bereitete er später Vorstandssitzungen mit vor und war beteiligt an der Gründung der Stiftung. Diese entstand mit dem Erwerb der ersten Liegenschaft an der Breitensteinstrasse 7 im Jahr 1987. «Hier befand sich dann auch die Geschäftsstelle, weil Sigi Feigels Büro keinen Platz mehr hatte», sagt er beim Spaziergang entlang der stark befahrenen Strasse in Zürich Wipkingen. Auch ein Blick in den Keller muss sein: «Seit Jahrzehnten war ich nicht mehr hier unten.»


Gute Lösungen als Ziel

Zurück in die Anfangszeiten: «Eigentlich hatte ich ja kaum eine Ahnung von der Situation», sagt Jean-Marc Hensch, der als Mitglied der Jungen FDP zur Jugendwohnhilfe kam. «Ich wohnte während des Studiums noch bei meinen Eltern, musste keine Wohnung suchen.» An der Uni habe man ihn selten gesehen, eher arbeitete er halbtags in der Migros («am Kundendienst hat man eine hohe Autonomie und lernt viel über Kommunikation») und engagierte sich in der Partei. Politisiert hatte ihn, denSohn einer Dolmetscherin aus Colmarund eines Zürcher Romanisten und Mittelschullehrers,die Zeit an der Kantonsschule Freudenberg: Die einen waren junge Marxisten, die anderen Liberale, via Anschlagbrett lieferte man sich verbale Schlachten.

Als Mitglied der Waisenhauspflege der Stadt Zürich Anfang der 1980er-Jahre habe er gelernt: «Es gibt keine liberale, keine SP-Lösungen, es gibt gute, funktionierende Lösungen und es gibt schlechte Lösungen.» Mit Menschen, die in einer Partei engagiert sind, egal welcher, verbinde ihn mehr als mit Menschen, die keine Parteipolitik machen.

Auch nachdem sich der Betrieb der Jugendwohnhilfe professionalisiert hatte, blieb Hensch im Vorstand «als Mann hinter den Kulissen» und stellte seinen juristischen Sachverstand und die PR-Fähigkeiten zur Verfügung. Seit nunmehr 23 Jahren präsidiert er Verein und Stiftungund ist Bindeglied zwischen operativer Geschäftsleitung und der strategischen Führung. Die Fäden laufen heute an der Gartenhofstrasse 15 zusammen: Hier verwalten Fachpersonen die Liegenschaften und stellen Mietverträge aus, hierher kommen neue Mieterinnen und Mieter für Sozialberatungen. «Kein Vergleich zu den Anfängen, als ich im Büro von Sigi Feigel erste Verträge ausstellte», sagt Hensch.

Jean-Marc Hensch vor der Geschäftsstelle des Jugendwohnnetzes JUWO an der Gartenhofstrasse im Januar 2023. Vor 40 Jahren war er Mitgründer der Vorgängerorganisation Jugendwohnhilfe.